Bildungssystem in Finnland

Bildungssystem Finnland
Das Schulsystem in Finnland ist in drei Stufen unterteilt ( © Monkey Business - Fotolia.com )
Nachdem Finnland 2001 beim Pisa-Test den ersten Platz belegt hat, ist über das finnische Bildungssystem auch ausführlich in Deutschland diskutiert worden. Seit 1921 besteht in Finnland eine allgemeine Lernpflicht. Zwischen 1972 und 1977 wurden Einheitsschulen bzw. Gemeinschaftsschulen mit den Klassenstufen 1 bis 9 eingeführt. Über 99 Prozent der Finnen können lesen und schreiben. Was sind die Bausteine ihres Bildungssystems? Und was braucht es von Seiten der Menschen dazu? Die Antworten darauf verrät euch der folgende Essay.

Phänomen basiertes Lernen: Pluspunkte für Finnlands Schulsystem

Die ab Herbst 2016 neuen Basislehrpläne sehen eine Abkehr vom strengen Fächerkanon vor: Als eine von mehreren Unterrichtsmethoden werden Phänomene nun in Projekten interdisziplinär untersucht – historische Ereignisse zum Beispiel aus Sicht der Geschichte, Geographie und Mathematik.

Zunächst erproben die Oberstufenschüler, ab 16 Jahren, im Hinblick auf ihre Berufsinteressen diese Projekte des Phänomen basierten Lernens (PBL). Später lernen auch die Jüngeren diesen neuen Ansatz der Wissensaneignung in Kleingruppen kennen.

Unter den Finnen ist ein Bildungsoptimismus weit verbreitet. Die Schule ist für sie ein geschützter Entwicklungsrahmen. Positiv wirkt sich die Kostenfreiheit der 9-jährigen Einheitsschule aus. Auch die Schulbücher und eine Mahlzeit gehören dazu.

»Der finnische Harvard-Professor Pasi Sahlberg beschreibt die finnische Schule mit den Worten, sie unterrichte weniger Stunden, biete mehr Ferien, fordere weniger Hausaufgaben, prüfe nur beim Abitur und basiere auf dem Sprichwort ‚Das ganze Dorf erzieht das Kind‘.«
(Wikipedia/Welt)

 

In geschütztem Rahmen lernen – Bildungsstufen in Finnland

Die finnische Vorschule für kreative Kinder

Finnischen Eltern mit Kleinkindern steht einen langer Mutterschaftsurlaub oder ein Pflegeurlaub offen. Ihm schließt sich eine Betreuung in städtischen oder privaten Kindertagesstätten oder bei Tagesmüttern an.

Die formale Bildung beginnt mit dem Vorschulunterricht in der Kita oder einer Schule. Der Vorschulunterricht ist kostenlos. Der überwiegende Teil der Eltern heißt ihn gut, und es besteht keine Anwesenheitspflicht. Vor dem Schulbeginn wird nach Reifetests über den flexiblen Eintritt in die Schule entschieden. Finnische Kinder können auch ein Jahr früher oder später die Einschulung absolvieren.

Neun gemeinsame Jahre unter einem Dach – die Gemeinschaftsschulen in Finnland

Bis zum Abschluss der neunjährigen Grundbildung oder bis zum 17. Geburtstag gilt die finnische Schulpflicht. Zahlenmäßig kommen gut eine halbe Million Schülerinnen und Schülern auf 3.000 finnische Einheitsschulen. 99,7 Prozent schließen die Schule ab. Das sind die Maßstäbe, die den Heranwachsenden zugutekommen:

  • nahe Schule: Die finnischen Schüler besuchen, nach Möglichkeit, eine Schule in ihrer räumlichen Nähe. Von 8:30 Uhr bis höchstens 15:30 Uhr gehen die regulären Schulzeiten. Es gibt kostenlose Schülertransporte für die Basiskurse. Auch die Privatschulen sind für alle Schüler im Schulkreis offen. Sie unterliegen der Genehmigung und den Rahmenlehrplänen des Staates
  • gleiche Bildungschancen: Der Bildungsgrad und das elterliche Einkommen sind in Finnland nicht entscheidend, um eine Schule besuchen zu dürfen
  • geringe Klassenstärke: Eine Primar- oder Sekundarschulklasse umfasst durchschnittlich 20 Schüler, auf dem Land oder im Norden/Nordosten Finnlands zum Teil nur die Hälfte
  • Rahmenpläne: Die schulischen Standards gibt das Opetushallitus vor: das finnische Zentralamt für Unterrichtswesen. Das Bildungsministerium ist die oberste Schulbehörde. In einem nationalen Schulgesetz sind die Bildungsziele und Stundentafeln fixiert. Es existiert keine besondere Aufsichtsbehörde. Zur Qualitätskontrolle dienen statistische Erhebungen
  • methodische Freiheit: Die Lehrpläne geben zwar die Lernziele vor. Die Organisation der Schulbildung realisieren die Gemeinden. Die Klassenlehrer und Fachlehrer besitzen die Hoheit, über die Auswahl der Methoden zu entscheiden. Sie werden als selbständige Spezialisten angesehen, die die individuellen Bedürfnisse ihrer Schüler kennen. Die Klassenlehrer unterrichten von Klasse 1 bis 6
  • hoch ausgebildete Lehrer: Die Klassenlehrer sind ein Beispiel für die universitär ausgebildeten Lehrer: Sie zeichnet einen Magisterabschluss mit dem Hauptfach Pädagogik aus. Sogar die Lehrer in der Vorschule und in den Kitas weisen eine höhere Hochschulausbildung auf
  • multimediales Lernen: Das bedeutet hochwertige Unterrichtsmaterialien und digitales Arbeiten

Schule in Finnland – ein Lernumfeld zum Wohlfühlen

Der Umgang zwischen Lehrern und Schülern in Finnland ist offen und herzlich. Vertrauen ist die Basis. Dabei ist Dialog wichtig, und Diskussionen dürfen sein. Der Klassenlehrer unterstützt seine Schüler in ihrem Gefühlsleben. Noten gibt es ab der 5. Klasse. Mobbing ist unerwünscht.

Ziel für alle Schüler ist es, lesen, schreiben und rechnen zu können sowie eine angemessene Allgemeinbildung sich anzueignen. Eine Anleitung und Unterstützung anstelle von Wettbewerb sind die Zauberwörter. Die Selbständigkeit der Schüler im Wissenserwerb wird gefördert.

Schülern mit Migrationshintergrund bietet man eine spezielle Vorbereitungsklasse an.

Schüler mit leichten oder mittleren Lernschwierigkeiten nutzen einen Förderunterricht in Kleingruppen. Speziallehrer, Schulassistenten und gegebenenfalls individuelle Studienpläne helfen ihnen. Sonderklassen und Sonderschulen sind offen für Schüler mit großen Lernschwierigkeiten oder besonderem Bedarf an körperlicher oder emotionaler Unterstützung.

Gymnasium und Berufsausbildung in Finnland

Für ein Gymnasium entscheiden sich circa 60 Prozent der Mädchen und 40 Prozent der Jungen eines Jahrgangs. In der Oberstufe gibt es Klassen mit und ohne besondere fachliche Schwerpunkte wie Musik, Kunst, zweisprachigen Finnisch-Schwedisch-Unterricht oder Lerngruppen mit weiteren Fremdsprachen, zum Beispiel Chinesisch.

Nach frühestens zwei und spätestens vier Jahren kann das Gymnasium mit der Finnland weiten Reifeprüfung abgeschlossen werden. Eine Berufsausbildung dauert ein bis drei Jahre. Nur fünf Prozent der Schüler der Gemeinschaftsschulen wählen keine Lehrvertragsausbildung und auch kein Studium.

»Man muss viel gelernt haben, um über das, was man nicht weiß, fragen zu können.«
(Jean-Jacques Rousseau, Genfer Schriftsteller, 1712–1778)

Wider eine Bildungselite, für ein gebildetes Finnland – historische Entwicklung

Das skandinavische Land ist eine vergleichsweise junge Nation, seit dem Beginn ihrer Unabhängigkeit, 1917. Schon damals hatte man in der jungen Generation die Saat für die neue Zeit gesehen, die man behüten und unterstützen sollte:

»Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.«
(Aldous Huxley, britischer Schriftsteller, 1894–1963)

Finnland wurde außer seinem Holzreichtum als arm an mineralischen Bodenschätzen betrachtet. Die Heranwachsenden sollten lesen und schreiben können, aufgeklärt und vorurteilsfrei sein. Eingefahrene Denkmuster sollten überwunden werden.

»Um eine Kultur zu schaffen, genügt es nicht, mit dem Lineal auf die Finger zu klopfen.«
(Albert Camus, französischer Literatur-Nobelpreisträger, 1913–1960)

Auf dem Weg zu einem einheitlichen Schulstandard war die Einführung des Gesetzes über die allgemeine Lehrpflicht, 1921, ein Meilenstein. Sie beinhaltete einen über sechs Jahre dauernden Pflichtbesuch der Volksschule. Gewinnbringend war auch die Bildungsreform in den 1970er Jahren – mit den neuen kommunalen Gemeinschaftsschulen und einer Schulpflicht über neun Jahre.

»Der Aufbau des finnischen Volksschulwesens war eng mit dem starken Erwachen des nationalen Bewusstseins verbunden.«
(Ministry of Foreign Affairs/finland.fi, 2012)

Danach ist das finnische Schul- und Hochschulwesen so konzipiert, dass es wachsen und sich anpassen kann. Die heutige Mobilität der Finnen, die Informationsflut, die auf sie einstürmt, der Klimawandel, die Rezession in Zusammenhang mit Covid-19, Migration, neue Technologien und das Altern der Bevölkerung sollen sich im Bildungssystem widerspiegeln.

Auf zur Uni: Die Zeit der Entfaltung für die jungen Finnen

Es gibt mehrere Zugänge zur Hochschulbildung in Finnland: Neben der Bewerbung mit dem Abiturzeugnis verlangen einige Fachrichtungen eine Aufnahmeprüfung. An manchen Hochschulen führt auch der Nachweis einer dreijährigen Berufsausbildung an die Alma Mater. So wird das finnische Bildungssystem seinem Anspruch gerecht, auf den verschiedenen Bildungsstufen durchlässig nach oben hin zu sein – ohne Sackgassen.

»Hohe Bildung kann man dadurch beweisen, dass man die kompliziertesten Dinge auf einfache Art zu erläutern versteht.«
(George Bernard Shaw, irischer Literatur-Nobelpreisträger und Politiker, 1856–1950)

Der finnische Staat investiert in die Bildung 6,8 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes (2015). Das sind – prozentual gesehen – europaweit die zweithöchsten Bildungsausgaben, hinter Schweden. 306.000 Studierende schrieben sich 2014 ein – mit einem Zahlenverhältnis von circa 15 Studierenden auf eine Lehrkraft (2016). 56.000 Studierende schlossen ihr Studium erfolgreich ab (2017). Die Fachhochschulen sind mit 130.000 Studierenden ähnlich stark nachgefragt (2015).

Ein großes Informationsangebot an Master-Studiengängen findet ihr über www.masterstudien.de, darunter sind folgende Fachgebiete mit dem größten Fächerkanon:

  • 54 Technologie-Studien
  • 45 Master-Abschlüsse in den Ingenieurwissenschaften
  • 36 naturwissenschaftliche Masterstudien und
  • 26 Studiengänge in den Wirtschaftswissenschaften

Für Studierende aus der EU gibt es keine Studiengebühren. Wichtig zu wissen ist für ausländische Studierende, dass Finnisch – und manchmal Schwedisch – grundlegend ist für ein Studium in Finnland. Eine Ausnahme bilden die 400 englischsprachigen Studiengänge im Bachelor und Master. Dazu gibt es 13 Unis und 22 Fachhochschulen (Universities of Applied Sciences), unter anderem diese drei begehrtesten:

  • Universität Helsinki (weltweit auf Platz 107 des QS Ranking 2020)
  • Aalto Universität in Espoo/Helsinki (QS-Platz 134)
  • Universität Turku (Platz 287 gemäß QS)

Für Studierende aus Deutschland gibt es Stipendien-Angebote, zum Beispiel vom DAAD, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (www.daad.de). Bei ihm findet ihr Ansprechpartner für Beratungen sowie weitergehende Online-Länderinformationen mit Kontakten.

Für die finnischen Hochschulen existieren zwei Bewerbungsfenster pro Jahr: im September und im Januar. Die Details findet ihr online, in englischer Sprache, unter studyinfo.fi.

Fast 40 Prozent der 25- bis 34-Jährigen in Finnland haben erfolgreich eine Hochschule abgeschlossen – Schätzungen in 2013 zufolge. Deutschland liegt bei 28 Prozent.

Lebenslanges Lernen als Gut – Erwachsenenbildung in Finnland

Die Erwachsenenbildung besitzt in Finnland einen hohen Stellenwert. Unter den älteren Generationen ist der Bildungsgrad vielfach niedriger als unter den jüngeren Generationen. Eine Million Teilnehmer zählen pro Jahr die Kurse für Erwachsenbildung. Sie bilden zehn Millionen Unterrichtsstunden jährlich ab. Hierin eingeschlossen sind auch Optionen, das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg zu absolvieren.

Zum lebenslangen Lernen zählen die Weiterbildungen der Finnen in ihren Berufen und die Umschulungen in einen neuen, bereits ausgeübten Beruf. Neues professionelles Wissen wird zudem in Demonstrationsprüfungen abgefragt. Darüber hinaus gibt es im Freizeitbereich Kursangebote für Hobbies und gesellschaftliche Themen.

Finnland und Pisa – ein hoher Bildungsstandard im OECD-Vergleich

Seitdem Finnland bei der ersten Pisa-Studie, 2000, auf dem obersten Treppchen stand, wird es immer wieder erwartungsvoll mit dieser von den 36 OECD-Staaten in Auftrag gegebenen Schulleistungsstudie unter 15-Jährigen in Verbindung gebracht. 2018 hat Finnland stabile vordere Plätze errungen, bei:

  • der Lesekompetenz: Platz 2 (innerhalb der OECD-Staaten)
  • den naturwissenschaftlichen Grundlagen: Platz 3
  • der Mathematik: Plätze 6-13

Bei diesen in den Ländern von West- und Mittel-Europa, Nordamerika, Australien/Neuseeland sowie Japan erhobenen Stichproben fiel auch die Ausgeglichenheit der Jugendlichen gegenüber ihrer Schulpflicht positiv auf und ihre Balance mit ihrem Leben zu Hause und ihren Freizeitaktivitäten.

Fazit:

Ein hoher Bildungsgrad ermöglicht eine große Teilhabe an einer Gesellschaft, an Handlungsoptionen. Wer in Finnland gut ausgebildet ist, für den wirkt sich das tendenziell auch positiv bei seiner Gesundheit aus, beim Zugang zum Arbeitsmarkt und bei seinem Empfinden von Glück.

Nicht ohne Grund steht Finnland nach dem World Happiness Report 2020 zum dritten Mal hintereinander an 1. Stelle.

»Bildung ist das, was übrig bleibt, wenn wir vergessen, was wir gelernt haben.«
(Edward Wood, britischer Politiker, 1881–1959)